Im Süden von Graz gab es in der NS-Zeit grauenvolle Vorgänge im Zusammenhang mit dem sogenannten Lager Liebenau. Menschen wurden dort geschunden und zu Zwangsarbeit in der umliegenden Industrie verwendet, viele kamen dabei ums Leben. Tausende ungarische Juden und Jüdinnen wurden hier gegen Ende des Krieges durchgeschleust, auch von ihnen kamen viele in Liebenau und auf Todesmärschen nach Mauthausen um. Die historische Aufarbeitung der Vorgänge von der Stadt Graz im Zusammenhang mit den bis heute bestehenden Resten der Lagerstruktur steht aus.
Von vielen Seiten wird seit langem verlangt, zumindest eine Gedenkstätte einzurichten, damit die hier passierten Gräueltaten nicht in Vergessenheit geraten. Auch viele Anrainer*innen scheinen sich über die vergangenen Geschehnisse an ihrem Wohnort nicht bewusst zu sein.
Das sensible Gebiet erstreckt sich von der Puntigamerbrücke über den Grünanger bis hin zur Seifenfabrik. Ein Teil dieses Gebiets, wovon der Großteil bereits verbaut ist, soll nun mit Schrebergärten besiedelt werden. Die Stadt Graz hat diese Fläche für die Heimgarten-Besitzer*innen zur Verfügung gestellt, deren ursprüngliche Heimgärten aufgrund der Murkraftwerks-Baustelle weichen mussten. Daher werden dort derzeit die Lagerstrukturen von Archäolog*innen in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Bundesdenkmalamt freigelegt.
Ein „Arbeitslager wie jedes andere“
Abseits der baulichen Überreste werden im Umkreis des Areals auch immer noch verscharrte Leichen von Inhaftierten des NS-Lagers vermutet. Fragt man im Grazer Bürgermeisterbüro nach, wie dies aktuell der Standard gemacht hat, wird das Lager Liebenau offenbar als „ganz normales Arbeitslager“ betrachtet. „Die Fläche freizulassen wäre doch unsinnig, es ist ja rundum auch schon alles verbaut.“ So zitiert derstandard.at am 20.8. das Bürgermeisterbüro der Stadt Graz. Dieses Faktum ist zwar nicht zu leugnen, ist aber als Rechtfertigungs-Versuch für Versäumnisse der Stadt Graz wohl wenig zufriedenstellend für all jene, die sich eine historische Aufarbeitung und vor allem eine Sichtbarmachung der Geschehnisse an diesem Ort wünschen. Stattdessen wird nicht davon abgesehen, weitere Bauprojekte auf den wenigen frei gebliebenen Flächen umzusetzen. Erst kürzlich wurde am Grünanger mit dem Bau eines Jugendzentrums begonnen.
Der Grazer Arzt Dr. Rainer Possert hat als Privatperson mit großem Engagement und auf eigene Faust Forschung betrieben, Gutachter engagiert und Übersichtspläne erstellen lassen, die sogar vom Bundesdenkmalamt gewürdigt wurden. Jährlich veranstaltet er in Kooperation mit dem Sozialmedizinischen Zentrum Liebenau und dem Mauthausen Kommitee Österreich (MKÖ) Gedenkveranstaltungen in Liebenau. An die Stadt Graz urgiert Possert seit vielen Jahren, die Aufarbeitung aktiver voranzutreiben. Dort wird seinem Engagement aktuell aber nicht besonders viel Wertschätzung entgegengebracht: Eine weitere Wortmeldung aus dem Grazer Bürgermeisterbüro, zitiert aus besagtem Standard-Artikel: „Wozu graben?“ Es seien bloß „bisher haltlose, völlig unbegründete Spekulationen eines Arztes“. Durch diese respektlosen Worte verärgert, veröffentlichte Uschi Possert, Dr. Possterts Frau, einen offenen Brief an Bürgermeister Nagl auf Facebook, in dem sie dem Bürgermeisterbüro eine Geschichte-Lektion anhand von Forschungsergebnissen zum NS-Lager Liebenau erteilt. Auch das MKÖ Österreich zeigt sich alarmiert von den unsensiblen Aussagen, und teilt den Standard-Artikel auf seiner Facebook-Seite.
Die Angst vor respektlosen Schaulustigen
Historisch interessierte Grazer Bürger*innen haben sich in weiterer Folge mit dem Archäolog*innen-Team direkt vor Ort der aktuell laufenden Ausgrabungen in Verbindung gesetzt, um dort um die Möglichkeit einer Einsicht in die Ausgrabungsarbeiten anzufragen. Die Einladung dazu wurde im April im Rahmen der besagten jährlichen Gedenkveranstaltung vom Projektleiter der archäologischen Ausgrabungen ausgesprochen. Während sich jener auf Nachfrage immer noch bereit erklärte, Informationen an Interessierte zu den Ausgrabungen weiterzugeben, äußerte die Grazer Gebäude und Baumanagement GmbH jedoch Bedenken, dass es zu einer Ansammlung Schaulustiger kommen könnte, die respektlos mit der Fundstätte umgehen könnten. Diese Befürchtungen waren Grund zur Absage an die Anfrage, die Begehung wurde nicht gestattet. „Schaulustige“ vs. Schweigen seitens der Politik der „Stadt der Menschenrechte“ Graz – es stellt sich die Frage, welcher Umgang mit der NS-Vergangenheit von Graz mehr Besorgnis erregen sollte.
Ein Interview mit der engagierten Bürgerin, welche die Begehung der Fundstätte organisieren wollte, sowie eine Stellungnahme von Dr. Rainer Possert zum Schweigen der Stadtregierung hört ihr in folgendem Audio-Beitrag: